Später Arbeiten

Rand-Notizen

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01.07.06 - 17.02.07 | Info-Café, Feinkost, Leipzig

Rollen: Hauptorganisator Fotograf Aussteller

Kunstart: Fotografie

Projektart: Ausstellung, Projekt

06.11.15

Foto: Mann schlägt Wecker aus

Zufrühmorgens-, Frühmorgens und Spätmorgensgesichter, im Rahmen des “100.000 EURO JOB” im Programm “Arbeit in Zukunft der Kulturstiftung des Bundes, in Kooperation mit Hello Studios, Feinkost Leipzig

Dies ist eine Archivseite des Projekts ‘Später Arbeiten’. Die Original-Internetseite ist offline, da es zu aufwändig ist, diese zu pflegen.

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Guten Morgen! Und? Ausgeschlafen?

Auf den folgenden Seiten siehst du Menschen, denen es genauso geht wie dir. Menschen, die gezwungen werden, sich fernab ihres natürlichen Biorhythmus’ zu bewegen. Sie wurden teils an ihren freien Tagen, teils an Arbeitstagen gewaltsam geweckt und gegen 5 Uhr, gegen 7 Uhr und gegen 11 Uhr fotografiert.

Das Buch zum 100.000 EURO JOB

Nützliche und neue Ansichten zur Arbeit - so lautet der Untertitel des Buchs. Herausgegeben hat es Sebastian Sooth im Jahre 2008, lesenswert ist es noch heute. Auf über 200 Seiten werden die 47 geförderten Projekte im 100.000 EURO JOB vorgestellt und mit praktischen Tipps zum Arbeiten versehen. Auch der Selbstförderfonds wird kurz vorgestellt und auf der Begleit-CD sind Video-Arbeiten einiger ProjektmacherInnen zu finden. Interessant sind auch die zwischen die einzelnen Projekte eingefügten Texte von oder über zum Beispiel Adrienne Göhler oder Mercedes Bunz. Die Ausschnitte zum Später-Arbeiten-Projekt (Seite 97-98) gibt es hier und hier und bestellen kann man das ganze Buch beim Verbrecher Verlag.

Ein Projekt im Rahmen des Projekts 100.000 EURO JOB – gefördert mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes im Programm „Arbeit in Zukunft“.

100.000-EURO-JOB-LogoKulturstiftung des Bundes-Logo

Galerie

Die Bilder zeigen Zufrühmorgens-, Frühmorgens- und Spätmorgensgesichter.

Meine Modelle* wurden teils an ihren freien Tagen, teils an Arbeitstagen “gewaltsam” geweckt und gegen 5 Uhr, gegen 7 Uhr und gegen 11 Uhr fotografiert.

*Namen teilweise geändert

Dokumentation

Angefangen hat alles damit, dass ich für das 100.000-EURO-JOB-Projektbüro die Infopost verpackt habe um mir ein paar Euro dazu zu verdienen. Im Laufe der Zeit ließ ich mich dazu überreden, eine Projektidee einzureichen und nach einem abendlichen Gespräch mit meinem Vater entstand die Idee, später zu arbeiten um sich entsprechend des eigenen Biorhythmus zu verhalten. Das Konzept war schnell geschrieben und nun ging der Wettlauf los, ob das Projekt gefördert werden sollte. Doch glücklicherweise landete es unter den 47 Projekten, denen jeweils ein bestimmter Teil der Fördersumme von 100.000 € zugesprochen wurde. „Später arbeiten“ war geboren.

Doch der Name sollte zum Programm werden. Was als gute Idee begann, sollte schnell in der Umsetzung scheitern. Irgendjemand verschlief immer. Mal war es der Fotograf, mal das Fotomodell, mal der Autofahrer oder auch alle zusammen. Den eigenen Biorhythmus mit Füßen zu treten, nur um zu belegen, dass sich andere daran halten sollten, stellte sich als eine größere Herausforderung dar, als gedacht. Nach einigen Startproblemen schafften wir es doch, morgens um 4 aufzustehen und genügend Leute zu fotografieren, um aussagekräftige Serien ausstellen zu können.

Am 27.01.07 war es dann endlich soweit. Die Ausstellung wurde im Info-Café der Feinkost Leipzig eröffnet und in kleinem Kreis das Glas auf das vollendete Werk erhoben. 3 Wochen waren die Bilder dann dort ausgestellt und zahlreiche Besucher konnten sich an den Fotografien erfreuen.

Um das Projekt auch zukünftig publik zu machen, entstand dann diese Seite. Nachdem nun auch noch die Abrechnung und die Dokumentation für das Projektbüro fertig waren, konnte ich mich endlich schlafen legen… um am nächsten morgen wieder vor meiner persönlichen Aufstehzeit in der Schule sitzen zu müssen.

Spaß gemacht hat es trotzdem, morgens in verstörte Gesichter zu blicken, unter Beschimpfungen den Wecker zu spielen und am Ende doch ein Ergebnis zu sehen. Allerdings wird mein nächstes Projekt auf jeden Fall später beginnen. Später als um 4 zumindest. Vielleicht so gegen 12 oder 13 Uhr. Das liegt eher in meiner Natur :-)

Biorhythmus

Morgenstund’

In Sprichwörtern äußert sich manchmal Erfahrungsweisheit. Mitunter werden aber auch nur solche Weisheiten tradiert, die dem gesellschaftlichen Konsens entsprechen, und die vermeintliche Erfahrung erhält vielmehr einen programmatischen Charakter. Mit dem Spruch von der Gold bringenden Morgenstunde werden oft Aufstehunwillige gedrängt, die ob der frühen Störung ein eher bleiernes Gefühl verspüren. Ein alchimistisches Geheimnis? Gar nicht. Die einen haben das Goldgefühl, die anderen nicht. Jedenfalls nicht so früh.

Jeder Morgenmensch quält sich mit den Urlaubsfreunden, die zu spät zur Wanderung aufbrechen oder den Mitgliedern der eigenen Familie, die so gar nicht aus dem Bett kommen wollen. Sie decken jeden Morgen den Frühstückstisch und ernten nicht einmal einen Dank. Ihre Mitmenschen sind viel zu müde, um schon Dankbarkeit empfinden zu können, geschweige denn, diese auch auszudrücken. Dafür ist es dann am Abend umgedreht: Die „Lerchenmenschen“ werden müde und die „Eulen“ richtig wach.

Dass Menschen jeweils eine sehr verschiedene Natur haben, ist eine Weisheit, zu deren Erkenntnis nur wenig Erfahrung nötig ist. Umso erstaunlicher ist, dass die Kenntnis über den persönlichen Biorhythmus so wenig Eingang in das öffentliche Bewusstsein oder die Volksweisheit gefunden hat. Wie manchmal in der populären Naturwissenschaft gibt es auch hierfür eine durchaus einleuchtende Erklärung: Als die Menschen noch in Horden und unter ständiger Bedrohung durch wilde Tiere und Feinde zusammenlebten, war es durchaus von Vorteil, dass auch ohne künstliche Wachzustände durch Fernsehen am Abend oder Kaffee am Morgen immer ein Teil der Sippe wachte, um die anderen im Notfall zur Verteidigung wecken zu können. Aus dieser vorgeschichtlichen Zeit stammen noch einige andere Programmierungen unserer Hirne, die uns heute eher peinlich anmuten. Aber die Programme laufen weiter, auch wenn sich unser Leben entscheidend geändert hat.

Bei den Jägern und Sammlern der Urzeit verwundert es daher auch nicht, dass die sammelnden Frauen eher „Lerchen“, also Frühaufsteher, waren. Jeder Pilzsucher weiß noch heute, dass zum Mittag oft schon der Wurm drin ist. Jagen kann man (Mann) auch später.

In einer von Landwirtschaft geprägten Kultur wird es für die „Eulen“, die Spätaufsteher, schon schwerer: Das Vieh will morgens versorgt sein, und mittags ist es auf dem Feld so warm, dass der menschliche Körper schon ein natürliches Schlafbedürfnis vorprogrammiert hat. Vernünftige Menschen halten dann Siesta.

Ganz schwer wird es den „Eulen“ in der Industriegesellschaft: Schichtarbeit, Ladenöffnungszeiten, Stechuhren, bestimmen unser Leben.

Wenn es stimmt, dass sich im Alter über 50 eine generelle Verschiebung zur morgendlichen Aktivität einstellt und man bedenkt, wann Menschen in Positionen rücken, aus denen sie Zeitvorgaben bestimmen, scheint es kein Wunder zu sein, dass die Arbeitszeiten früh beginnen: Der Chef ist dann schon fit.

Im Dienstleistungsbereich sind gleitende Arbeitszeiten schon länger möglich: Jeder kann für sich festlegen, wann die beste Arbeitszeit ist. Und in einigen Betrieben ist schon der Mittagsschlaf nicht mehr geächtet. Ein Umdenken hat also schon eingesetzt. Am Fließband ist es allerdings schlecht vorstellbar, dass einer um sechs und der Nachfolger um acht kommt. Ganz klar, Maschinenarbeit ist besonders ungesund!

Möge dieses Projekt ein Ansporn sein, dass die Entscheider ganz wirtschaftlich denken und ihren Angestellten Arbeitszeiten ermöglichen, zu denen diese auch ihr Bestes geben können. So kommt für das Unternehmen mehr heraus.

Auch die möglichen verkehrspolitischen Konsequenzen flexiblerer Arbeitszeiten verdienen eine Untersuchung: Es fahren weniger unausgeschlafen und frustriert zur gleichen Zeit – vielleicht heißt das sogar, dass die Unfallzahlen auf dem Arbeitsweg sinken können. Nachdem schon lange erwiesen ist, dass die Lerchenmenschen bessere Schulnoten erzielen, würde mich auch ein solcher Effekt nicht verwundern. Man muss nur den Mut haben, neue Wege zu gehen, früher oder später!

Danksagung

Nach langem Hin und Her ist die Ausstellung nun endlich zu Stande gekommen.

Besonderer Dank gilt Tristan Schulze (Hello Studios), der mir als Fotograf stets mit professioneller Hilfe zur Seite stand und Manuel Pietzsch und Anton Barske, die Handlanger, Sklave und Assistent zu gleich waren.

Großer Dank weiterhin an all die Modelle, die zu so früher Stunde aus dem Bett gerissen wurden. Eure Beschimpfungen am Morgen sind vergeben und vergessen :-)

Und natürlich an das 100.000-EURO-JOB-Team, ohne deren Hilfe das ganze Projekt nicht möglich gewesen wäre und an die Kulturstiftung des Bundes, die das ganze finanziert hat.

Danke auch an den Freundeskreis Buchkinder e.V. für das Verleihen der Bilderrahmen.

Und besonderer Dank geht an die Feinkostgenossenschaft, die mir vom 27.01.07 bis zum 19.02.07 die Möglichkeit gab, meine Fotos auszustellen.

Fazit

Am Anfang…

…dachte ich noch, jeder Mensch sollte später Arbeiten …hoffte ich, alle meine vielen schönen Ideen für die Ausstellung umsetzen zu können

dann…

…musste ich sehen, dass es mehr Arbeit als erwartet war …schrumpfte die Riesenausstellung mit zahlreichen Gimmicks auf das Wesentliche zusammen

und am Ende…

…konnten zahlreiche Besucher im InfoCafe der Feinkost Leipzig sehen, was ich viele Morgen live erlebt habe …weiß ich, dass jeder Mensch seinen individuellen Biorhythmus hat, der zwar schon um 5, aber auch erst um 11 beginnen kann …ist mir 100prozentig klar, dass mein Rhythmus nicht vor 7 beginnt, sondern eher später

Wanderausstellung

Seit Juni 2010 ist eine Neuauflage der Später-Arbeiten-Ausstellung erschienen. Sie ist nun auf wetterfeste Bauplanen gedruckt und passt exakt auf zwei Bauzäune.

Die Dokumentation und weitere Informationen über die verschiedenen Stationen sind weiter unten auf dieser Seite zu finden.

Bei Interesse, die Ausstellung auszuleihen oder mich mitsamt der Ausstellung auf ein Festival oder Jugendcamp einzuladen, bin ich unter hallo [at] raffaeljesche [punkt] de zu erreichen.

Reiseroute:

Später Arbeiten auf Plane 1

Später Arbeiten auf Plane 2

Credits und Bildnachweise

Raffael Jesche in Kooperation mit Hello Studios

Website-Realisierung (der vom Netz genommenen Seite): Johannes Herbst, Raffael Jesche Text Biorhythmus: Carl Jesche

Foto auf der Startseite: © Jostein Hauge / fotolia.de

Ein Projekt im Rahmen des Projekts 100.000 EURO JOB – gefördert mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes im Programm „Arbeit in Zukunft“.

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